Diese Geschichte ist kein Einzelfall - ich hab mit genügend Leuten geredet, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben.
metoo, also ähnliche Erfahrungen gemacht.
aber ansonsten sehe ich einfach viele Dinge anders, als du sie beschrieben hast (was mir übrigens sehr viel Spaß macht, zu lesen).
Grundsätzlich aber vielleicht auch eine Frage der Syntax. Ist jedenfalls mein Eindruck.
Also, wenn ich Staat sage, meine ich nicht Politiker oder Beamte in ihren Büros, sondern schon uns alle.
Wenn ich von einem starken Staat spreche, meine ich damit Strukturen, die es der Gesellschaft ermöglichen, Dinge unabhängig und auch gegen Interessen von Reichen und Industrie zu beschließen und durchzusetzen.
Das ist heute nicht so und vielleicht auch, weil die Politiker schwach sind, aber in meinen Augen vor Allem, weil wir das gar nicht wirklich wollen. Wir (damit meine ich nicht mich selbst und einige andere Leute sehen das ja durchaus auch anders, aber die Mehrheit unserer Gesellschaft ganz offenbar doch) fühlen uns abhängig von Industrie, Wirtschaft und Geld, also Reichtum und wir glauben, dass man nur ausreichend "Freiheit" gewähren muss (also Freiheit zum Geldverdienen), um alles gut werden zu lassen.
Diese Sicht vom liberalen Staat (seltsamerweise wird das Wort liberal tatsächlich heute so gesehen, es geht nur noch ums Verdienen), halte ich deshalb für falsch. Ein Staat sollte sich nicht die Aufgabe geben, ein günstiges Klima für Reiche und Reichtum zu schaffen. Das ist ein vollkommen falsches Ziel, denn wie du ja auch sagst: Reichtum über ein gewisses Maß hinaus bringt doch nichts mehr (was nur die Reichen und Super-Reichen entweder nicht kapieren, oder sich nicht trauen, öffentlich zuzugeben und auch entsprechend zu handeln).
Und Reichtum ist deshalb eine Gefahr für jede Demokratie, weil er eben nicht berechtigt erworben wurde und grenzenlos sein darf.
Das ist eine Mär, dass jeder sich bewähren muss und dann bekommt, was er verdient und deshalb ein Reicher auch seinen Besitz redlich verdient hat. Vom Tellerwäscher zum Millionär, das bedeutet ja nicht, dass alle Millionäre als Tellerwäscher anfingen.
Ich erzähle ein ganz banales Ding aus meinem Leben. Der Kinder drei musste ich durch die Schule bringen und manchmal war dazu Nachhilfe nötig. Ich konnte mir das leisten, andere Mitmenschen nicht!
Wer mehr Geld hat, kann bessere Voraussetzungen für seine Kinder schaffen.
Wer noch mehr Geld hat, noch bessere.
Denk das mal über zwei oder drei Generationen weiter und du siehst, wo die Ungleichheit stattfindet und es gewinnt nicht das begabteste Kind, sondern es verlieren die Kinder, aus gesellschaftlich schwachem Milieu. Immer noch, obwohl die Pisa-Studien genau diesen Punkt in DE massiv kritisierten.
Dabei fällt mir einer meiner Lieblingsfilme gerade spontan ein:
https://de.wikipedia.org/wiki/Idiocracy
Passt nicht so 100%, aber wer ihn mal irgendwo sehen kann: es lohnt sich!
Und das betrifft auch die oft erwähnten Eliten, die wir heute nicht mehr haben und die uns deshalb nicht mehr voran bringen können, die wir aber auch wirklich nicht brauchen sollten. Hier wird nicht nach dem Motto gesiebt, dass die Fähigsten an die Spitze kommen, sondern jene, mit den besseren gesellschaftlichen Voraussetzungen.
Zurück zum Reichtum.
Ein Facharbeiter verdient heute in DE vielleicht 50.000€/a. Oder? Ich bin da nicht so ganz wirklich auf dem Laufenden, aber mit dieser Zahl ist gut zu rechnen. In zwei Jahren 100.000€, in zwanzig Jahren 1.000.000€ und in vierzig Jahren 2.000.000€. Stimmt das?
Zwei Millionen €, sagt auch mein Taschenrechner, wobei das ein Facharbeiter nicht am Ende seines Arbeitslebens angespart hat! Aber, mal ohne Inflation und Lohnsteigerungen ganz grob, damit man sich orientieren kann. Ein gut bezahlter Facharbeiter verdient im Laufe seines Arbeitslebens insgesamt ganze zwei Millionen.
Wieso ich so auf dieser Zahl herum hacke? Als der schon verstorbene FDP-Politiker Guido Westerwelle in einem Interview gefragt wurde, wo er denn die Leistungsträger sehe, die man steuerlich entlasten müsse, da nannte er vage "...so ab vielleicht zwei Millionen Euro im Jahr..." (aus der Erinnerung zitiert).
Also, ich kenne zwar einige dieser Leistungsträger, aber ich kenne weitaus mehr Menschen, die, wie ich selbst, keine Leistungsträger nach dieser Definition sind! Dazu zählen nicht nur die Facharbeiter, die Sys-Admins, die meisten Programmierer, auch Krankenschwestern und -Pfleger, ja, nahezu alles Personal in einem Krankenhaus, in einem Altenheim, alle Arbeiter in einem Stahlbetrieb, in der Produktion bei VW oder Siemens oder sonstwo, die meisten Handwerker, Metzger, Bäcker, Mechatroniker, Heizungsbauer und Elektriker, Dachdecker, Beamte, Polizisten, Lehrer und Erzieher: alles keine Leistungsträger unserer Gesellschaft und damit keine Zielgruppe der Politik (außer dann, wenn es um Steuern und Abgaben geht, denn da macht Kleinvieh bekanntlich Mist).
Das finde ich sowas von daneben!
Und ich sage es betont lässig: das hat man nämlich dann von einem schwachen Staat!
Von einem Staat, der nicht hinsieht, nicht reguliert und sogar alles öffentliche Bemühen darin steckt, den Reichtum der Reichen zu mehren, die "Leistungsträger" zu entlasten und das Geschmeiß der fleißigen Arbeiter zu melken. Ja, meine Finger waren hier schon forscher und wollten unterjochen und ausbeuten schreiben, aber ich konnte sie gerade nochmal im Zaum halten.
Ist das nun Grün-Links-ideologisch verseuchte Weltsicht?
Na, meinetwegen. Ich bin ja Jäger und scherzte seit Jahren, dass ich der einzige "grüne Jäger" sei, aber inzwischen habe ich eine ziemliche Aversion gegenüber "Grün" entwickelt und unterlasse meine entsprechenden Scherze.
Ich bin auch nicht neidisch auf den Reichtum anderer Leute und ich habe kein zu klein geratenes Ego (sagt mein Psych) (
den konnte ich mir nun nicht verkneifen!).
Es geht mir eher auch so, dass ich mir immer wieder Gedanken darüber mache, in welcher Gesellschaft und unter welchen Bedingungen wir oder besser gesagt, unsere Kinder, denn in Zukunft leben wollen.
Und es bleibt nicht aus, zu sehen, dass wir einfach verdammt viel Mist machen, lauter Sachen, die unseren Kindern die Zukunft nehmen.
Und dabei ist die Erkenntnis für mich die allerwichtigste und dringendste: wir leben nicht von Geld, sondern von unserer Umwelt und die machen wir kaputt! Nicht mal vollkommen Gedankenlos, sondern in Abwägung der Interessen und die liegen nun mal dort, wo die Macht liegt und wo das Geld gehortet wird. Die liegen bei Jenen, die tatsächlich glauben, etwas Besseres zu sein, sich berufen fühlen, zu einer Elite zählen, zu den Leistungsträgern der Gesellschaft gehören, in entsprechenden Kreisen verkehren und für die alles Gut ist!
OK, ich gehe nicht demonstrieren. Ging ich noch nie.
Aber ich bin darauf nicht stolz.
Mir war Technik auch immer wichtiger, als Sozial. Nun sehe ich, wohin Technik wandert, wozu sie verwendet wird und es schaudert mich. Es schaudert mich ob der Realität, aber besonders ob der zukünftigen Möglichkeiten und ich frage, in wessen Hände sollen diese Möglichkeiten liegen? Bei einem Super-Reichen? bei einem Super-Individuum a la Musk? Bei irgendeiner Elite?
Und meine Antwort ist: nein!
Das muss beim Staat liegen, bei uns allen!
Und zwar nicht bei einem schwachen Staat, wie ich ihn heute sehe, der sich den Interessen der Reichen unterordnet und denen damit quasi nicht nur den Weg bereitet, sondern sie auch darauf befördert.
Aber: "bei uns allen"? das macht mich noch mehr schaudern!
Unsere Gesellschaft ist nicht reif für Demokratie!
Wäre sie es, hätten wir nicht die herrschenden Verhältnisse.
Daher die Frage, was kann man denn da machen? Und die Antwort ist nur und einzig: Bildung und Bildung und Bildung und ich meine damit nicht das auswendig lernen von Daten und Fakten, die wir heute alle bequem im Netz nachlesen können (wozu man auch wieder nachdenken muss, aber hier mal ausgeklammert).
"333 bei Issus Keilerei" oder so ähnlich, das hat mich schon immer maßlos geärgert. Ist das wichtig zu wissen? Heißt es Issus oder Issos und hat das die Menschen, die damals ihr Leben ließen, wirklich interessiert?
Für mich ist das ganz klar keine relevante Bildung und ich meine das nun nicht so, dass ich Leute belächle, die derartiges Wissen gesammelt oder auf Abruf parat haben. Jedes Wissen ist cool, denn, wie Florian Freistätter sagt, was man weiß, braucht man nicht zu glauben.
Aber Bildung zu einem mündigen Bürger, das umfasst ganz andere Aspekte. Nämlich zum Beispiel das Wissen darum, wie Nahrungsmittel erzeugt werden (können), medizinische, psychologische und kommunikative Grundkenntnisse, Wissen um die Wissenschaft und wie die funktioniert, Grundlagen zur Demokratie und Selbstbestimmung, meinetwegen auch "Aktienkunde" und Bankenwesen.
Sehr viel mehr praktisches Wissen mit dem Ziel, Bürger zu bilden, damit sie überhaupt erst die Aufgabe wahrnehmen können, ihren Staat zu regieren und ihr Leben selbstbestimmt leben zu können.
Für mich ist die Entwicklung zu einem starken Staat, gebildet und regiert von allen Individuen, auf Basis eines gemeinsamen Austausches von Wissen und Empfindungen, meine gesellschaftliche Vision.
Es kann natürlich auch andere Visionen geben.
Aber mir gefällt die "Gleichheit, Freiheit, Brüderlichkeit"- und der "Starke helfe dem Schwachem, denn im nächsten Moment mag der Starke schwach sein" -Vision am Besten. Ich glaube daran, hoffe darauf und möchte sehr gerne, dass wir uns in so eine Richtung bewegen. Und aus dieser Vision heraus frage ich mich, was müssten wir tun und was tun wir wirklich.
Die Bildung von Eliten ist kontraproduktiv! Das Hervorheben und die besondere Behandlung von Leistungsträgern einer Gesellschaft ebenfalls. Genies kann man nicht fördern oder entwickeln, das zeigen sie eigentlich alle. Sie sind unter ungünstigsten Umständen nicht zu bremsen gewesen. Wenn Genie stattfindet, dann geht es seinen Weg.
Es gab einige Jahre in Deutschland, wo geradezu herausragende Ergebnisse in beinahe allen Disziplinen von Wissenschaft und Philosophie sich hervor taten. Im Unterschied zu den Jahrhunderten davor und danach und das waren die Jahre "zwischen den Kriegen", um es mal sehr grob einzuordnen, außergewöhnlich spektakulär und produktiv.
Ich denke oft darüber nach, ob das durch Stärken oder Schwächen des gesellschaftlichen und politischen Systems bewirkt oder wenigstens begünstigt worden ist. Ich komme zu keinem echten Ergebnis, aber mit Wegfall der ersten Deutschen Demokratie starb auch diese ungewöhnliche Zeitspanne. Es liegt einem auf der Zunge zu sagen, die Nazis haben auch das beendet.
Insofern sind diese Nazis für mich das absolute Gegenbeispiel zu einem starken Staat!
Nicht, dass ich alles schlecht reden will, was die Leute damals gemacht haben. Ich war nicht dabei, habe aber sehr viel Verständnis für viele Dinge und Details. Aber, wie so oft, es waren nicht die Entscheidungen mündiger und gut informierter Bürger, die zu der Diktatur führten!
Unmündige und nicht informierte Bürger, die trotzdem wählen dürfen, sind eine Gefahr!
Man muss meiner Ansicht nach sehr aufpassen.
Der "Darwinismus" (ein unmögliches Wort, ein unmöglicher Begriff, weil er so tut, als könne man dafür oder dagegen sein und ignoriert, dass es sich hier um Wissenschaft handelt und nicht um Religion), formuliert das "surviving of the fitest" und gerade stumpfsinnige Nazis übersetzen das dann oft mit "Überleben der Stärksten" und leiten daraus konkrete Handlungen ab, weil sie selbst definieren, wer denn bitte Stark ist und wer nicht.
Jeder kann sofort den Missbrauch erkennen und sehen, wie falsch hier "stark" benutzt wird.
Und dafür kann man nun wirklich nicht nur die Nazis als Beispiel wählen. Der Ruf nach Eliten und der besonderer Förderung basiert im grunde auch nichts anderem und da kommen wirklich nicht die Passendsten, die Besten ans Ziel, sondern, wie ich weiter oben schon mal anmerkte, die Stärksten, mit den besseren Möglichkeiten zur Förderung, mit dem stärkeren sozialen Netz, mit Verbindungen zu Reichtum.
Aber ja, es ist bequem zu wünschen, es gäbe geniale Eliten, die uns die Arbeit abnehmen und Lösungen produzieren, die uns tatsächlich helfen udn voran bringen. Grüne und Linke machen es so, die AFD sowieso und die weich gespülten Parteien der sogenannten Mitte bilden sich eh keine eigene Meinung mehr und beziehen niemals einen festen Standpunkt (außer vielleicht bei der PKW-Maut, und den konnte ich mir nun auch nicht verkneifen!).
Ich bin eigentlich zu müde und muss hier mal aufhören.
Aber nochmal der Versuch, kurz zusammen zu fassen.
Wir brauchen Bildung, nicht um passende Arbeitskräfte für eine im Sterben befindliche Industrie zu generieren.
Wir brauchen Bildung, um mündige Staatsbürger heranwachsen zu lassen, die dereinst die Geschicke ihres Staates lenken können. Und wenn sie als kleine Leute, als einfache Bürger, ihre Interessen gegenüber mächtigen Reichen durchsetzen wollen, dann brauchen sie einen starken Staat als Organ dafür.
Außerdem sehe ich das, vor allem von der Industrie und dem Handwerk beklagte Bildungssterben in Deutschland nicht!
Es gefällt mir nicht, was wir tun, aber nur, weil es Handwerk und Industrie nicht gefällt, dass Schulabsolventen nicht mehr akkurat zu ihren Anforderungen passen, wird das nicht schlecht, was wir da bilden. Da muss man anders hinsehen. Heutige Abiturienten können ein Referat halten, sich vor eine Klasse stellen, Inhalte diskutieren und gemeinsam Lösungen erarbeiten. Sie sind Teamfähig, kommunikativ und sind zumindest Ansatzweise empathisch. Super! Eine geile Entwicklung! Das sind die besten Deutschen, die wir jemals hatten. Die wollen keinen Krieg mehr und nicht die Umwelt zerstören. Die gehen zu Demonstrationen und bleiben nicht faul zu Hause (oder in den Schulen).
Sie wissen nichts von Issos oder Issus? Können nicht 23 x 46 im Kopf ausrechnen? Nicht die Deutsche Nationalhymne singen? Gut so!
Wer solche Bildung verlangt und beklagt, dass sie nicht mehr vermittelt wird, der sitzt doch auf dem Ast, der abgeschnitten wird von der fortschreitenden Entwicklung.
Sagte mal ein Bekannter: "... mit denen kann man keinen Krieg gewinnen..." und das sagt vielleicht schon alles. Hätte er nur Recht damit!