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Neue Zürcher Zeitung 29.03.2003, S. 59
Wem gehört Unix?
SCO will von IBM eine Milliarde Dollar für Linux
Zu Beginn dieses Monats hat die US-Firma SCO Group IBM auf eine Milliarde Dollar Schadensersatz verklagt. IBM soll geistiges Eigentum von SCO Group gestohlen haben. In der Art und Weise, wie die Anklageschrift abgefasst ist, gleicht sie einer Splitterbombe, die jedem, der Unix oder Linux benutzt, gefährlich werden könnte.
S. B. Unter den neuesten Nachrichten aus der Computerbranche findet sich alle paar Tage eine, die Streitereien um geistiges Eigentum vermeldet. Da will eine englische Telefongesellschaft in den neunziger Jahren das Prinzip des elektronisch gespeicherten Verweises erfunden haben und beansprucht deshalb Urheberschaft auf das ganze Internet; da beginnt ein amerikanisches Handelshaus, Name, Adresse und Zahlungsmodalitäten eines Kunden in einem einzigen Datensatz elektronisch zu speichern und mit einem einzigen Mausklick abrufbar zu machen, kann dieses Verfahren patentieren und will nun von den anderen Internet-Händlern Lizenzgebühren eintreiben.
Nachdem es gemäss Zeitungsberichten vor zwei Jahren in Australien jemandem gelungen ist, eine «circular transportation facilitation device» - mit anderen Worten: das Rad - zu patentieren, kann einen in diesem Bereich nichts mehr überraschen. So glaubte man. Doch wenn nun eine Firma, die mit Dienstleistungen rund um das gratis erhältliche, im Quelltext vorliegende, aus Protest gegen die Auswüchse des Urheberrechts geschaffene Betriebssystem Linux Geld zu verdienen hofft, eine andere Firma wegen Urheberrechtsverletzungen anklagt, weil diese sich ebenfalls für Linux engagiert, muss das Aufsehen erregen.
Klage
Zu Beginn dieses Monats hat die US-Firma SCO Group IBM auf eine Milliarde Dollar Schadensersatz verklagt. IBM soll geistiges Eigentum von SCO Group gestohlen haben. In einem Brief an IBM droht SCO Group zudem damit, man werde die Lizenz zurückziehen, unter der IBM ihr eigenes Unix- Derivat AIX vertreiben darf, wenn nicht innerhalb von 100 Tagen bestimmte Forderungen erfüllt würden. SCO Group hiess bis im Sommer vergangenen Jahres noch Caldera Systems. Caldera wurde 1994 gegründet, begann sich ab 1998 als Linux-Distributor zu profilieren, erlebte vor drei Jahren einen einträglichen Börsengang und kaufte sich kurz darauf eine in Schwierigkeiten geratene Unix-Firma namens The Santa Cruz Operation. Diese SCO hatte 1995 von Novell im Rahmen eines Aktientausches Urheberrechte an Unix übernommen.
IBM und SCO waren sich 1998 näher gekommen, als es im Rahmen eines Monterey genannten Softwareentwicklungsprojektes wieder einmal darum ging, ein Einheitsunix zu schaffen. Das auf 64-Bit-Prozessoren ausgelegte Projekt scheiterte, weil sich 64-Bit-Prozessoren am Markt nicht durchsetzten und sich Linux sehr schnell als PC-Unix erster Wahl etablierte.
Die Anklageschrift ist vage formuliert und offensichtlich darauf ausgelegt, je nach Prozessverlauf unterschiedlich zugespitzt zu werden. IBM wird vorgeworfen, von Unix «Code, Methoden, Konzepte und Fachwissen» übernommen und unberechtigterweise der Linux-Gemeinde zugänglich gemacht zu haben. Mit Unix meint SCO allein die von AT&T entwickelten Unix-Varianten. Ihre eigene Unix-Version beschreibt SCO als Luxuskarosse, Linux dagegen sei 1998 noch auf der Entwicklungsstufe eines Fahrrads gewesen. Nur dank der Entwicklungshilfe von IBM sei Linux in die Lage versetzt worden, sich im Unternehmenseinsatz zu bewähren. IBM, so behauptet SCO, beschäftige mindestens 7000 Programmierer, die Fachwissen, das sie sich beim Studium der AT&T-Quelltexte angeeignet hätten, in Linux- Projekte einbrächten.
Was haben diese 7000 IBM-Mitarbeiter bis jetzt zustande gebracht? Als Beispiele nennt SCO ein Dateisystem und ein paar Dutzend Druckertreiber. Beides gibt es unter Linux in verschiedenster Ausführung von zahlreichen Anbietern. War Linux im Jahr 2000 tatsächlich, wie SCO behauptet, unterentwickelt? Gemäss der Marktforschungsfirma IDC hielt Linux 1999 bei den Betriebssysteminstallationen einen Anteil von 3,9 Prozent. Alle anderen Unix-Derivate brachten es zusammen auf nur gerade 0,6 Prozent.
Altlasten
Die Juristen, die sich mit der Klage von SCO beschäftigen, werden Gelegenheit haben, sich eingehend mit der Geschichte der Informatik zu beschäftigen, denn es gibt keine grosse Computerfirma und keine bedeutende Forschungseinrichtung, die in den letzten 30 Jahren nicht auch in irgendeiner Form an der Entwicklung von Unix partizipiert hätte.
SCO wird von der New Yorker Anwaltskanzlei Boies, Schiller & Flexner vertreten. David Boies war der Anwalt, der im Antitrustprozess gegen Microsoft die Kläger vertreten hatte und es fast geschafft hatte, diese mächtigste Software-Firma der Welt zu zerschlagen. Mit MS-DOS und später mit Windows hat Microsoft im Verlauf der achtziger und neunziger Jahre im Bereich der PC-Betriebssysteme ein Monopol aufgebaut. Doch noch bevor Microsoft 1981 MS-DOS publizierte, hatte die Firma 1979 bereits von AT&T eine Unix-Lizenz erworben und mit der Entwicklung eines Unix-Derivats namens Xenix begonnen. Microsoft betraute SCO mit der Vermarktung, später auch mit der Weiterentwicklung von Xenix. Noch 1991 bezeichnete Bill Gates Unix bzw. Xenix als erste Wahl für technisch-wissenschaftliche Anwendungen und für Netzwerk-Server. Microsoft besass zeitweise mehr als 20 Prozent der Aktien von SCO, ihre letzten Anteile an SCO verkaufte Microsoft erst 2000.
Weil Microsoft sichergehen wollte, dass für Xenix geschriebene Anwendungsprogramme auch auf anderen SVR2-Unix-Varianten laufen, weil AT&T anderseits daran gelegen war, Unix im PC-Markt zu verbreiten, trafen die beiden Firmen 1987 eine Vereinbarung, gemäss der AT&T gewisse von Microsoft entwickelte Elemente von Xenix in allen Versionen ihrer Unix- Software einbauen durfte und musste. Als Rechtsnachfolger von AT&T musste SCO noch 1998 Lizenzgebühren an Microsoft überweisen. Schlimmer noch: SCO musste, um dem Vertrag mit Microsoft zu entsprechen, in ihren Betriebssystemen völlig veraltete, nutzlose Code-Bestandteile unterhalten. SCO strengte einen Prozess an, um den unnützen Microsoft-Code nicht benützen zu müssen. Dank der Unterstützung der europäischen Wettbewerbskommission konnte SCO mit Microsoft eine Einigung erzielen.
( Teil 1 )
Wem gehört Unix?
SCO will von IBM eine Milliarde Dollar für Linux
Zu Beginn dieses Monats hat die US-Firma SCO Group IBM auf eine Milliarde Dollar Schadensersatz verklagt. IBM soll geistiges Eigentum von SCO Group gestohlen haben. In der Art und Weise, wie die Anklageschrift abgefasst ist, gleicht sie einer Splitterbombe, die jedem, der Unix oder Linux benutzt, gefährlich werden könnte.
S. B. Unter den neuesten Nachrichten aus der Computerbranche findet sich alle paar Tage eine, die Streitereien um geistiges Eigentum vermeldet. Da will eine englische Telefongesellschaft in den neunziger Jahren das Prinzip des elektronisch gespeicherten Verweises erfunden haben und beansprucht deshalb Urheberschaft auf das ganze Internet; da beginnt ein amerikanisches Handelshaus, Name, Adresse und Zahlungsmodalitäten eines Kunden in einem einzigen Datensatz elektronisch zu speichern und mit einem einzigen Mausklick abrufbar zu machen, kann dieses Verfahren patentieren und will nun von den anderen Internet-Händlern Lizenzgebühren eintreiben.
Nachdem es gemäss Zeitungsberichten vor zwei Jahren in Australien jemandem gelungen ist, eine «circular transportation facilitation device» - mit anderen Worten: das Rad - zu patentieren, kann einen in diesem Bereich nichts mehr überraschen. So glaubte man. Doch wenn nun eine Firma, die mit Dienstleistungen rund um das gratis erhältliche, im Quelltext vorliegende, aus Protest gegen die Auswüchse des Urheberrechts geschaffene Betriebssystem Linux Geld zu verdienen hofft, eine andere Firma wegen Urheberrechtsverletzungen anklagt, weil diese sich ebenfalls für Linux engagiert, muss das Aufsehen erregen.
Klage
Zu Beginn dieses Monats hat die US-Firma SCO Group IBM auf eine Milliarde Dollar Schadensersatz verklagt. IBM soll geistiges Eigentum von SCO Group gestohlen haben. In einem Brief an IBM droht SCO Group zudem damit, man werde die Lizenz zurückziehen, unter der IBM ihr eigenes Unix- Derivat AIX vertreiben darf, wenn nicht innerhalb von 100 Tagen bestimmte Forderungen erfüllt würden. SCO Group hiess bis im Sommer vergangenen Jahres noch Caldera Systems. Caldera wurde 1994 gegründet, begann sich ab 1998 als Linux-Distributor zu profilieren, erlebte vor drei Jahren einen einträglichen Börsengang und kaufte sich kurz darauf eine in Schwierigkeiten geratene Unix-Firma namens The Santa Cruz Operation. Diese SCO hatte 1995 von Novell im Rahmen eines Aktientausches Urheberrechte an Unix übernommen.
IBM und SCO waren sich 1998 näher gekommen, als es im Rahmen eines Monterey genannten Softwareentwicklungsprojektes wieder einmal darum ging, ein Einheitsunix zu schaffen. Das auf 64-Bit-Prozessoren ausgelegte Projekt scheiterte, weil sich 64-Bit-Prozessoren am Markt nicht durchsetzten und sich Linux sehr schnell als PC-Unix erster Wahl etablierte.
Die Anklageschrift ist vage formuliert und offensichtlich darauf ausgelegt, je nach Prozessverlauf unterschiedlich zugespitzt zu werden. IBM wird vorgeworfen, von Unix «Code, Methoden, Konzepte und Fachwissen» übernommen und unberechtigterweise der Linux-Gemeinde zugänglich gemacht zu haben. Mit Unix meint SCO allein die von AT&T entwickelten Unix-Varianten. Ihre eigene Unix-Version beschreibt SCO als Luxuskarosse, Linux dagegen sei 1998 noch auf der Entwicklungsstufe eines Fahrrads gewesen. Nur dank der Entwicklungshilfe von IBM sei Linux in die Lage versetzt worden, sich im Unternehmenseinsatz zu bewähren. IBM, so behauptet SCO, beschäftige mindestens 7000 Programmierer, die Fachwissen, das sie sich beim Studium der AT&T-Quelltexte angeeignet hätten, in Linux- Projekte einbrächten.
Was haben diese 7000 IBM-Mitarbeiter bis jetzt zustande gebracht? Als Beispiele nennt SCO ein Dateisystem und ein paar Dutzend Druckertreiber. Beides gibt es unter Linux in verschiedenster Ausführung von zahlreichen Anbietern. War Linux im Jahr 2000 tatsächlich, wie SCO behauptet, unterentwickelt? Gemäss der Marktforschungsfirma IDC hielt Linux 1999 bei den Betriebssysteminstallationen einen Anteil von 3,9 Prozent. Alle anderen Unix-Derivate brachten es zusammen auf nur gerade 0,6 Prozent.
Altlasten
Die Juristen, die sich mit der Klage von SCO beschäftigen, werden Gelegenheit haben, sich eingehend mit der Geschichte der Informatik zu beschäftigen, denn es gibt keine grosse Computerfirma und keine bedeutende Forschungseinrichtung, die in den letzten 30 Jahren nicht auch in irgendeiner Form an der Entwicklung von Unix partizipiert hätte.
SCO wird von der New Yorker Anwaltskanzlei Boies, Schiller & Flexner vertreten. David Boies war der Anwalt, der im Antitrustprozess gegen Microsoft die Kläger vertreten hatte und es fast geschafft hatte, diese mächtigste Software-Firma der Welt zu zerschlagen. Mit MS-DOS und später mit Windows hat Microsoft im Verlauf der achtziger und neunziger Jahre im Bereich der PC-Betriebssysteme ein Monopol aufgebaut. Doch noch bevor Microsoft 1981 MS-DOS publizierte, hatte die Firma 1979 bereits von AT&T eine Unix-Lizenz erworben und mit der Entwicklung eines Unix-Derivats namens Xenix begonnen. Microsoft betraute SCO mit der Vermarktung, später auch mit der Weiterentwicklung von Xenix. Noch 1991 bezeichnete Bill Gates Unix bzw. Xenix als erste Wahl für technisch-wissenschaftliche Anwendungen und für Netzwerk-Server. Microsoft besass zeitweise mehr als 20 Prozent der Aktien von SCO, ihre letzten Anteile an SCO verkaufte Microsoft erst 2000.
Weil Microsoft sichergehen wollte, dass für Xenix geschriebene Anwendungsprogramme auch auf anderen SVR2-Unix-Varianten laufen, weil AT&T anderseits daran gelegen war, Unix im PC-Markt zu verbreiten, trafen die beiden Firmen 1987 eine Vereinbarung, gemäss der AT&T gewisse von Microsoft entwickelte Elemente von Xenix in allen Versionen ihrer Unix- Software einbauen durfte und musste. Als Rechtsnachfolger von AT&T musste SCO noch 1998 Lizenzgebühren an Microsoft überweisen. Schlimmer noch: SCO musste, um dem Vertrag mit Microsoft zu entsprechen, in ihren Betriebssystemen völlig veraltete, nutzlose Code-Bestandteile unterhalten. SCO strengte einen Prozess an, um den unnützen Microsoft-Code nicht benützen zu müssen. Dank der Unterstützung der europäischen Wettbewerbskommission konnte SCO mit Microsoft eine Einigung erzielen.
( Teil 1 )