Ein Exkurs zu der Antwort #4 von
@rubricanis vorweg: Das oben angesprochene "Core OS" wäre zwar "neu", aber auch keine Innovation. Mit der gleichen Idee ("wer braucht noch Desktops?") ist Microsoft schon vor ein paar Jahren böse auf die Nase gefallen, die Umsetzung hieß Windows 8 und kam
total toll beim Kunden an - so
toll, dass schnell Version 8.1 mit nur halb so viel Hirngrütze nachgeschoben wurde. Windows auf Touchgeräten - das wird nichts mehr. Microsoft hatte das vor wenigen Monaten noch selbst festgestellt. Hartnäckig sind sie ja. -- Aus der Entwicklung von "Longhorn" haben wir freilich gelernt, dass die besten Microsoftideen (WinFS zum Beispiel) die sind, die am ehesten verzichtbar gemacht werden. Sobald es um Geld geht, ist Bunt eben interessanter als Gut. Niemand kauft Gut, jeder kauft Bunt. Sieht man sogar in der Linuxwelt: Wer ist da doch gleich der Marktführer?
... Ich schweife ab - kommen wir zum Thema selbst. Vieles, was als "neu" gilt, ist halt auch schon uralt. Die leidige Virtualisierung mal als sehr gutes Beispiel direkt aus dem Eingangsbeitrag herausgepickt: Da freuen sich heute die Schlipsis über eine Technik, über die alteingesessene Unixer schon vor Jahrzehnten nicht mehr so recht gestaunt haben. (Ist doch schon Jahrzehnte her, oder?) "Der Markt" hat eine etwas andere Aufmerksamkeitsspanne als wir Techniker. Aber die Frage selbst ist schon gegenstandslos: Im Gegensatz zu "früher" bewegt sich die Hardwarewelt eben nicht mehr so schnell. Unix war seinerzeit wie seine Vorgänger und zeitgenössischen Konkurrenzprodukte auf genau eine einzige Plattform (also streng genommen überhaupt nicht) "portierbar", es war halt das System für die PDP (erst 7, dann 11). Es gab in den Fünfzigern und Sechzigern von jeder halbwegs seriösen EDV-Firma - damals hieß das noch EDV und nicht Eiti - genau deswegen mindestens eine eigene Betriebssystemreihe, weil es auch mindestens jeweils eine eigene Prozessorarchitektur gab. Schon aus wirtschaftlichen Gründen hat sich das irgendwann wenigstens außerhalb der Mainframewelt konsolidieren lassen, mal abgesehen von der jetzt auch schon ungefähr zwanzig Jahre alten "Mobile-Devices"-Landschaft voller ARMs und MIPSe gab es seitdem einfach keinen Anlass mehr, sich noch mal groß ans Reißbrett zu setzen. Unix war irgendwann portierbar, also warum sollte man es von vorn nachbauen - nur um irgendwas
anders zu machen?
Ohne konzeptionelle Neuentwicklungen im Hardwarebereich braucht auch niemand konzeptionelle Neuentwicklungen im Softwarebereich. iOS und Android sind auch nur so "neu" wie die zugrundeliegenden Konzepte: Eine uralte Architektur, auf die ein bisschen Touch gelötet wurde, braucht nicht plötzlich eine völlig neue Software. Da reicht ein bisschen Abstraktion. Minix ist ein Lehrsystem und nicht als Ersatz für Windows gedacht, aber nur als Ersatz für Windows kriegst du heute Geld und Arbeitskraft, pardon!, in den Arsch geschoben. Je weiter du davon entfernt bist, desto dunkler sieht es aus. Das Thema NetBSD kommt ja hier gelegentlich mal zur Sprache.
Der meines Wissens letzte nennenswert
andere einigermaßen relevante Versuch, ein nicht-akademisches Betriebssystem von vornherein "richtig" aufzubauen, hieß Hurd, wurde ich annehmen wollen. Da gab es ja inzwischen auch Releases - nach gerade mal drei Jahrzehnten. Büschen spät, möchte mir scheinen. Für Strom- und Ressourcensparer gibt es Haiku, RISC OS, KolibriOS und solchen Nischenkram, der im Alltag funktionieren könnte, den halt nur einfach keine Sau außer ein paar Fanatikern (schade um RISC OS, finde ich) wirklich zur Kenntnis nimmt, weil die vorhandenen Systeme "gut genug" sind. Daran ist auch Plan 9 gescheitert (hier ist doch kein Plan-9-Sympathisant unterwegs, oder? sonst gibt's gleich wieder verbale Keile ...

): Warum sollte jemand Zeit mit einem System verbringen, das nicht mal einen vernünftigen Webbrowser hat, miserabel mit der Tastatur zu bedienen ist und dessen einziger wirklich gewaltiger Architekturvorteil längst
auf andere Systeme portiert wurde?
Welche konkrete neue Funktion, die du dir gerade vorstellen könntest, müsste ein Betriebssystem mitbringen, um deine,
@serie300, Neugier auf "Hauptsache, was Neues" zu stillen? Wenn dir eine eingefallen ist, überleg dir mal, welche anderen Voraussetzungen dieses neue Betriebssystem mitbringen müsste. Ich wäre erstaunt, wären nicht mindestens zwei der folgenden drei Punkte darunter:
- Hauptsache, deine bestehende Hardware läuft damit.
- Hauptsache, bestimmte Software läuft darauf.
- Hauptsache, die Bedienung braucht kein völliges Umlernen.
Und da wird es halt schon schwierig. Schau dir mal, um noch mal darauf zurückzukommen, GNU/Hurd (notfalls diesen Debian-Hurd-Kram) an: An das Userland gewöhnst du dich vermutlich schnell, weil es halt sowieso auf jedem zweiten Rechner hier rumliegen dürfte, die Architektur (die wievielte ist das eigentlich gerade?) ist eine völlig andere und hat sicherlich große Vorteile für bestimmte Einsatzzwecke. Und - warum steigst du nicht um?
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Offenlegung: Ich bin noch gar nicht
so alt, dieser Beitrag kann also durchaus aus Versehen statt, wie sonst, absichtlich einigen fachlich falschen Unsinn enthalten.