Wer entscheidet, was ein triftiger Grund ist? Was für dich belanglos sein mag, kann für mich wichtig sein - und umgekehrt.
Der oder die User, Maintainer, benevolent dictator, etc.
Das erzählen mir die Mainframe-Kollegen im aktuellen Projekt auch immer:
- Neumodische Dinge wie relationale Datenbanken - braucht kein Mensch.
- Dieses trendige Unicode- und Webservice-Gedöns - überflüssig. Wer braucht schon Datenaustausch mit anderen Systemen?
- Automatische Integrationstests, die ständig testen, ob noch alles funktioniert - viel zu komplex!
Man muss nicht jedem Trend hinterherhecheln, aber wer die Problemstellungen von heute mit der Technik von gestern lösen möchte, erlebt leicht sein blaues Wunder.
Ein paar Punkte dazu. All diese Technologien haben Jahrzehnte(!) gebraucht, nachdem sie fertig waren, bis sie allmälich begonnen haben sich durchzusetzen. All diese Systeme lösen EIN Problem.
Wer die Probleme mit neuen, halb-unfertigen Technologien lösen möchte hat das selbe Problem.
Auch nochmal ein Punkt zu deinen Beispielen. Jedes dieser Beispiele hat nicht nur ewig gebraucht bis es sich durchgesetzt hat, sondern hat sich auch gegen andere Systeme bewähren müssen. Das ist nicht passiert.
Noch ein Punkt, warum der Vergleich ziemlich hinkt: Du redest von Techniken und nicht von Technologien bzw. Implementierungen. Das macht einen enormen Unterschied. Das ist so als würdest du sagen, dass ich gegen Init-Systeme bin, was absoluter Humbug ist. Wenn du meinen letzten Post nochmal liest wirst du sehen, dass ich hauptsächlich die Art der Implementierung kritisierte. Vieles was es schon gibt wird neu gebaut, mit dem Init-System in eine Quasi-Einheit verwandelt.
Bitte bitte nicht Dinge verwechseln, sonst ist es so als würdest du mir die Worte im Mund verdrehen. Es geht mir um die Implementierung von systemd. Ich glaube auch, dass falls systemd länger bleibt sich da potentiell Sachen verbessern, aber dann ist meine Kritik einfach, dass Leute auf Trends aufspringen, einfach weil systemd plötzlich überall war ohne, dass es auch nur die Chance zu einer Analyse geben hätte können.
Es geht nicht darum, dass Dinge nicht neu sein dürfen, sondern, dass wie gesagt neue Technologien, Verfahren, etc. zumindest mal überprüft werden sollten bevor sie überall eingeführt werden. Ich denke hier war sozusagen das "Marketing" zu gut. Das war das was ich gemeint habe mit "es ist schneller", etc. Klar, wenn du ein Sysadmin bist und du siehst, aha, ich schreibe diese Unitfiles, okay scheinen alles toll abzudecken, cgroups sind auch nett und außerdem sind meine Systeme schneller wieder hochgefahren, dann okay. Das Blöde ist nur, dass bei systemd ständig eine neue Version mit komplett neuen Features rauskam und das vor allem, nachdem alle umgestiegen sind, das heißt selbst, wenn du dich ganz früh mit Systemd beschäftigt hast hattest du potentiell Unmengen an Zeug, dass du dann nicht wolltest.
Ich glaube auch nicht, dass es aus RedHat-Sicht schlecht ist. Die haben Fedora genau für solche Bleeding Edge-Sachen, was bedeutet, die haben ihre RHEL, dass kein Systemd oder nur ein recht abgespecktes Systemd haben. Vieles kam und kommt erst danach dazu und es wird immer schwerer zu sagen, ja wir wollen das neuere Init, ohne die Bleeding-Edge-Sachen mit zu bekommen.
Das ist das schöne an Open Source: wer systemd nicht will, hat mehr als genug Alternativen. Man darf sich dann aber nicht beschweren, wenn Software auf systemd aufsetzt und Dinge liefert, die mit SysVinit nicht möglich sind.
Da stimme ich dir zu. Es gibt Alternativen. Das ist ein Grund warum man auf Open Source setzt. Aber bitte verstehe mich auch hier nicht falsch. Es geht mir ja genau darum. Wenn das Ding monolithisch wird heißt das im Endeffekt, dass es zu "Allem oder nichts" wird.
Es gibt ja genug
Ansätze für bessere Wege zum Glück.
In meinem letzten Posting ging es ja um die IT-Welt nicht in der Hinsicht, dass es nichts neues geben sollte, sondern einfach, dass quasi, und das ist jetzt ein wenig übertrieben daher gesagt, aber die Wissenschaftliche Methode fehlt. Ich meine es jetzt nicht ganz so akademisch, wie es vielleicht klingt, aber worauf ich hinaus will ist, dass Vergleiche, alternative Wege, empirische Daten durch Hypes und Trends ersetzt werden. Ich denke, dass das eher durch soziale Dinge entsteht. Wie gesagt, in der IT geht es einem gerade recht gut, wenn man "irgendwas" (übertrieben) neues macht, vor allem auch mit Technical Debt und vor allem ohne langfristiges Denken oder gar Überzeugung. Das hat eher ökonomische Gründe einfach, dass dadurch, dass man höheres Risiko für schnelles Geld eingeht.
Das ist gut, das treibt Forschung, das treibt Neuerungen, dazu zählt auch systemd, wie so viel Anderes, auch FreeBSD-Entwicklungen. Allerdings entsteht da auch technical Debt, die aber, wenn sich was durchsetzt auch wieder abgebaut werden wird. Die Frage ist einfach, was und wer leidet bis dorthin.
Ich halte es für nicht sehr gut, wenn auf halb-experimentellen Dingen aufgebaut wird, die noch dazu zwangsweise viele Bereiche berühren und komplexer und komplexer werden. Es ist gut, dass sie gemacht werden, aber effektiv bestehen und entstehen große Abhängigkeiten darauf. Das kann dann dazu führten, dass es entweder enorm kracht oder, dass alles irgendwie hingebogen wird, dass es so einigermaßen funktioniert oder natürlich, dass es der absolute Erfolg ist, aber das trifft eher auf Verfahren, als auf Implementierungen zu. Das soll heißen es gibt ein paar potentielle Vorteile (wie gesagt, systemd ist bei weitem zu groß und kompex, als dass man alles gut oder schlecht finden kann). Man muss sich nur ernsthaft ansehen, was die Vor- und Nachteile gegenüber dem sind was man davor hatte und ob es das wirklich wert war und dann ist man vielleicht(!) in einer ziemlichen Sackgasse. Wie gut man da wieder raus kommt hängt von dem Punkt ab, wie sauber Interfaces sind, wie austauschbar und modular Dinge wirklich sind.
Es gibt Leute da dran arbeiten. Das ist mir durchaus bewusst, siehe das NTP-Beispiel aus dem vorangegangenen Post. Ich sag nicht, dass es so bleibt, aber man muss auch sehen, dass gerade beim Core-Team solche Dinge keine überragende Priorität haben. Was der Grund dafür ist mag ich nicht unterstellen, aber meine Vermutung wäre durchaus, dass es eher politische Interessen von RedHat sind und ich meine da überhaupt keine Verschwörungstheorien, sondern einfach, dass es keinen Grund gäbe, dass die Angestellten von RedHat was anderes im Sinne haben sollte. Dann wären sie einfach nur keine guten Angestellten.
Mir geht es auch ein wenig auf die nerven (und damit meine ich übrigens niemanden von bsdforen,de), wenn ich einen bestimmten Punkt an Technologie X kritisiere und was cooles an Technologie Y lobe und man sofort glaubt ich hasse X und liebe Y. In den aller meißten Fällen gibt es an Software wenn sie eine gewisse Komplexität hat positive und negative Dinge. Dieses Schwaz-Weiß-Malen ist nicht gut. Ich denke, dass vieles in diesem Thread einfach berechtigte Kritikpunkte an systemd sind und dass systemd doch sehr, sehr einschneidend ist, vor allem in der Linuxwelt. Selbst wenn du alles andere magst ist systemd so ein Ding, wo man nicht ganz so einfach drum rum kommt. Systemd (in den meisten Distributionen) zu ersetzen kommt in etwa dem Ersetzen des Package Managers gleich. Das lässt einen nur die Wahl zwischen Gentoo und Slackware, was jetzt nicht viel ist. Halbes Systemd ist schwer, schwerer als halbes KDE.
Kann man den Zustand rein technisch verbessern? Natürlich! Nur ganz ehrlich, so viel Freude ich auch an der IT habe, so viel sorgen bereitet mir einfach auch dieses enorme Ausmaß an Trends und Hypes, die subjektiv zugenommen haben. Das betrifft nicht nur systemd und ja, ich glaube es wird zu oft irrational schlecht geredet. Ich sehe das Problem tatsächlich eher was Prozesse und Community angeht, dass viel zu wenig Reflexion stattfindet, warum man was wie wacht. Vielleicht klang meine Kritik am Neuen zu scharf. Das liegt daran, dass ich viel öfters "X ist schlecht. Das ist so alt. Wir brauchen was neues!", aber eher seltener/nie "Y ist keine gute Idee. Das ist neu, ungeprüft, also hat es noch seine Ecken und Kanten". Vielleicht ist das die Antwort darauf, dass wir (also Leute in der IT) auch schon zu viel Misstrauen was neues betrifft hatten, wie in dem Mainframe-Beispiel. Das ist gut möglich. Ich selbst war früher mehr der Typ, der auf der Seite des Neuen war. Meine Beispiele waren immer Betriebssysteme, IPv6 und Assembly vs. höhere Programmiersprachen. Da fühle ich mich überholt, vor allem wenn komplexere Dinge, wie Datenbanken, Virtualisierungstechnolgien, die erst fünf Jahre oder so auf dem Rücken haben als zu veraltet gelten. Ab und zu gelten aber auch recht alte Dinge, wie FreeBSD, LISP, JavaScript, etc. als "das Neue", aber damit weiche ich jetzt ab.
Kurzum, bitte Azazyel denke nicht, dass ich Systemd als neues Ding so als großen Schrecken sehe. Das stimmt so nicht. Ich habe größere Brocken an Kritik, aber von der denke ich durchaus, dass sie berechtigt ist. Ich arbeite ein wenig mit Systemd. Ich habe auch Punkte, die nett und cool sind, die ich gerne auch anderswo hätte, die aber meines Erachtens gewisse andere Dinge nicht rechtfertigen, was vor allem diverse Forks "bewiesen" haben. Ich sag auch nicht, dass ich die Weisheit mit dem Löffel gegessen habe, aber wenn die Reaktionen, die ich auch Kritik bekomme in die Richtung gehen, dass ich keine Neuerungen oder Veränderungen mag oder, dass ich einen Feldzug gegen X habe, dann ist das ein wenig extrem. Ist nämlich wirklich nicht so, dass ich entweder großen Spaß an Systemd-Kritik empfinde (mal abgesehen von Scherzen, die ich über alles mache), noch dass ich nicht zugänglich für Argumente wäre. Ich verstehe durchaus, dass viele Dinge begründet sind, aber manche Dinge auf Fehlentscheidungen beruhen, auf die man einfach nicht steinhart beharren sollte. Deshalb erwähne ich eben die Forks/Alternative, die ja auch nicht perfekt sind, aber die einfach aufzeigen, dass Dinge nicht so sein müssen. Das entspricht denke ich dem, was du mit dem Tollen an Open Source beschrieben hast. Wäre cool, wenn sich da Projekte mergen oder einfach was d'raus wird, was sich aus den Erfahrungen entwickelt. Ich denke mal, dass du nicht einfach annimmst systemd sei optimal und dass es gewisse Probleme gibt. Die kann uns sollte man verbessern und Leute arbeiten daran, nur teilweise scheint das Core-Team und dabei allen voran Lennart Poettering entweder nicht einsichtig zu sei oder einfach nur extrem mies darin mit Kritik umzugehen, bzw. produktiv darauf zu reagieren. Vielleicht war es auch zu viel und zu früh, aber dann sind wir wieder bei Thema, dass sich das Ding (und das ist keine Kritik an den Entwicklern selbst, sondern an den Distributionen) zu schnell verbreitet hat.