Ich glaube, dass wir vielleicht tatsächlich die Begriffe auseinanderhalten sollten.
Es ist etwa zunächst kein Feature eines DE, dass die mittels Maus markierte Textstelle auf Druck der mittleren Maustaste an der aktuellen Stelle eingefügt wird. Das funktioniert auch vollkommen ohne DE. Ebenso eine Zwischenablage mit Historie. Zu letzterem siehe bitte hier:
https://wiki.ubuntuusers.de/Zwischenablage und allgemeiner zu Komponenten, die in einem DE enthalten sein können aber auch außerhalb dieses Zusammenhangs vorstellbar sind:
https://wiki.ubuntuusers.de/Desktop
Viele Eigenschaften und Formen, die hier diskutiert wurden, basieren auf unabhängigen Programmen.
Um das zu verdeutlichen, wie ich die Begriffe verstehe, will ich mal über meine eigene Arbeitsumgebung erzählen, die kein DE ist und nicht mal einen Desktop benutzt.
Was ich habe ist OpenBox als WindowManager, fbpanel als Panel, gmrun als Programmstarter, osd_clock und tclock als Uhren auf dem Hintergrund und diesen lasse ich mit feh anzeigen. Mein Mail-Programm ist Claws, mein Kalender ist orage und screenshots erstelle ich mit scrot, das als Symbol im Panel eingearbeitet ist, wie auch ein Taschenrechner (x-calk) und wenige weitere. Ebenfals im Panel eingearbeitet ist die Darstellung meiner sechs virtuellen Arbeitsflächen. Programme starten bereits nach Einloggen durch Autostart-Funktion und werden auf ihre Arbeitsflächen verteilt, wo ich sie dann immer finden kann. Außerdem habe ich eine Reihe von Shortcuts festgelegt, mit denen ich sehr schnell immer wieder gebrauchte Programme, wie etwa ein Terminal, aus der Tastatur starten kann. Brauche ich mal ein Programm, für das ich keine Tastenkombination festgelegt hatte, dann nutze ich gmrun, für das es natürlich eine entsprechende Kombination gibt. Suchen von Icons mit Maus entfällt, ebenso brauche ich kaum eine Maus zum navigieren auf und zwischen den Arbeitsflächen, nutze aber nach meinem Empfinden trotzdem recht oft eine Maus eben auch dazu.
Diese Liste und wie ich mit den Programmen umgehe, könnte ich weiter führen, glaube aber, dass ein kleiner Eindruck entstanden ist.
Das ist kein Desktop-Environment. Ich nutze einen WindowManager und habe einige Dinge eingestellt, damit ich so arbeiten kann, wie ich das gerne möchte und wie ich gute Erfolge schnell erziele.
Wenn ich vor einem Mac sitze, oder irgendeinem anderen PC, dann möchte ich möglichst genau so einfach und schnell zum Erfolg kommen, wie ich das von meinem FreeBSD und meiner Arbeitsumgebung gewohnt bin. Nicht weiter verwunderlich gelingt das nie und nimmer. Außer etwa auf einem OpenBSD, das ich nach gleichem Vorbild eingerichtet hatte oder einem GNU/Linux, das auch alle benötigten Programme bereit hält und die Konfigurationen dazu akzeptiert. Würde ich auf einem Mac meine Umgebung aufspielen können, wäre der mir genauso lieb.
Nun, wie gesagt finden sich sehr sehr selten Rechner, die so eingerichtet sind, wie ich das am liebsten habe.
Was ich da feststellen kann, ist: es gibt absolut keine intuitive Bedienung! Es gibt nur das Verlangen danach, etwas so zu finden, wie man das gewohnt ist. Was jemand nun gewohnt ist, woran man sich gewöhnt hat, das ist eine Frage der IT-Sozialisierung. Meine Kinder nutzen liebend gerne Smartphones und sind froh, wenn ihre PCs ähnlich bedient werden können. Ich selbst nutze gar keine Smartphones und komme damit nicht zu Rande. Meine Kollegen sind M$ adaptiert und suchen immer irgendwo nach Icons, weil sie glauben, dass dieses Vorgehen ihre Probleme lösen wird. Als ich meinem Vater mal die Handhabung eines Desktops erklären wollte und sagte: "um das Fenster zu schließen, klickst du einfach mit der Maus auf das X oben rechts" erhielt ich zur Antwort: "welches Fenster, wo ist da eine Maus?". Von Intuition kann keine Rede sein!
Wer dieser Argumentation folgt, kann natürlich nicht verlangen, dass ein DE solche Intuition eingebaut hat.
Was man verlangen könnte, das ist, dass ein DE sich so umfassend individuell anpassen lässt, dass alle Wünsche möglichst realisierbar sind. Das Gegenteil wäre ein DE, das genau nur eine einzige Einstellung kann und alle zwingt, genau dieser Philosophie zu folgen. Wohlgemerkt: wenn dieses DE vielleicht zufällig den Geschmack der meisten User genau trifft, wird es von diesen als super, intuitiv und sogar intelligent bezeichnet werden. Es ist aber klar, dass so etwas nicht Maßstab in der Beurteilung eines DE sein kann oder alleiniger Maßstab sein sollte, besonders, wenn der Verdacht berechtigt ist, dass da überhaupt kein eigener Geschmack entwickelt werden konnte.
Was ist denn nun ein DE und was macht es eigentlich anders oder mehr, als ein einfacher Fenstermanager?
In einem DE sind eine ganze Reihe von Helfer-Programmen zusammengefasst und um einen Window-Manager geschart, so daß sich ein durchgängiger Gesamteindruck ergibt. Die einzelnen Komponenten werden oft nicht mal namentlich erkannt, es wird
ein DE installiert und das enthält ein Panel und ein Clipboard und einen Programmstarter und so weiter. Ein anderes DE enthält andere Programme für die gleichen Aufgaben. Außerdem teilen sich die Programme ein gemeinsames Aussehen und Verhalten, sie sind so entwickelt, dass sie irgendwie einheitlich auftreten und auch solche Programme, die gar nicht zum DE gehören, werden manchmal so dargestellt, dass sie nicht aus dem Rahmen fallen. Das gemeinsame Verhalten kann oft sehr detailliert festgelegt und den Vorlieben eines Nutzers angepasst werden.
Große DEs starten derart viele Helfer, dass es mich schon abschreckt. KDE zum Beispiel scheint mir den Ehrgeiz zu haben, das Hostsystem so zu abstrahieren, dass es quasi schon wie ein eigenes virtuelles System auf diesem aufsetzt. Was da alles im Hintergrund läuft ist weit mehr, als zur Darstellung von Fenstern und zum Umsetzen von Mausgesten nötig wäre.
Ein unerwünschter Dienst ist eine Belästigung.
Natürlich gibt es auch Leute, die sich sehr darüber freuen, wenn sie von ihrem Auto mit Namen begrüßt werden und einen schönen Tag gewünscht bekommen. Wenn vor Fahrbeginn eine Checkliste verlesen wird, so dass man hört welchen Druck welcher Reifen nun hat und welche Lampe seit wie vielen Betriebsstunden im Einsatz ist und demnächst vorsorglich ausgetauscht werden sollte. Eine höfliche Frage, ob man denn nun tatsächlich das Fahrzeug auch starten will oder es sich im letzten Moment anders überlegen und Vorgang abbrechen möchte, vermittelt einem das erhabene Gefühl als Person wahr- und ernst genommen zu werden. Vielleicht.
Mich regt solch ein Verhalten allerdings sehr auf und ich würde lieber ganz auf ein KFZ verzichten, als mich derart vorführen zu lassen.
Auch das hat mit der entsprechenden Sozialisation zu tun, aber auch immer mit dem eigenen Persönlichkeitsbild. Wie soll denn ein KFZ-Hersteller wissen, wer ich bin und wie ich ticke und dann sein Auto auf mich passend vorbereiten? Den meisten Fahrern gefällt es ja, so what?
Im günstigsten Fall wird mir die Möglichkeit eingeräumt, selbst Hand anzulegen und den Dialog nach meinen Bedürfnissen anzupassen oder abzustellen. Anders kann das nicht realisiert werden, es muss ein Endanwender Hand anlegen, wenn er etwas nach eigenen Vorstellungen umsetzen will, oder er ist gezwungen, den Vorstellungen anderer zu folgen.
Wenn es die Möglichkeit gibt, wie ich sie für mich mit FreeBSD nutzen konnte, dann verzichte ich vollkommen auf die Technologie, die für solche Dialoge notwendig ist. Ansonsten ist das Beste, das man mir bieten kann, dass ich dieses Zeugs abschalte, deaktiviere oder zumindest so einstellen kann, dass ich nichts mehr davon merke und deshalb nicht davon belästigt werde.
Also, was ich sagen möchte: es gibt nur in OpenSource-Systemen überhaupt derartige Wahlmöglichkeiten. Es gibt keinen Intuitiven Desktop und es gibt unterschiedliche Vorstellungen, wie und wohin sich ein DE entwickeln sollte. Solche DEs, die viele Einstellmöglichkeiten zulassen sind eher zu begrüßen als andere, die fest verzurrt daherkommen. Nur durch Erlernen der unterschiedlichen Möglichkeiten kann ein Anwender seinen Geschmack umsetzen, es kann nicht erwartet werden, dass andere in ihren Vorgaben den gleichen Geschmack zeigen. Es ist kein taugliches Qualitätsmerkmal, dass einem persönlich etwas in der Default-Einstellung eher zusagt.
Wenn wir uns da irgendwo verständigen, dann könnten wir eine Grundlage schaffen, auf der wir die unterschiedlichen Möglichkeiten überhaupt erst diskutieren und bewerten könnten. Wie ich selbst vorhin zu e17 (e19?) sagte: "sieht schön aus", oder so ähnlich, das ist Käse und unbrauchbar.