Ich bin nicht der Meinung, dass man die Unterschiede zwischen Männern und Frauen komplett wegwischen oder gar unterbinden sollte. Aber ich glaube noch viel mehr, dass z.Z. beide Seiten in bestimmte Rollenbilder gedrängt werden, die nicht immer zum jeweiligen Vorteil sind.
Ein paar Beobachtungen/Gedanken
Eine Verwandte von mir ist jetzt 12 Jahre alt und zieht sich ca. seit sie 3 ist viel lieber wie ein Junge an. Über Jahre hinweg haben selbst beste Freundinnen von ihr gedacht, sie sei ein Junge. Für ein Mädchen ist das vielleicht ungewöhnlich, aber irgendwie OK. Mein Sohn ist jetzt 3 Jahre und in vielem, genau so wie man einen Jungen klassisch erwarten würde. Er liebt aber auch Dinge in rosa und würde gerne auch manchmal Kleider tragen wie seine Schwester. Wir erlauben es ihm nur zu Hause, weil es "draußen" für Jungs einfach nicht akzeptiert wird und wir wollen nicht, dass er nachher gehänselt wird (Kinder können ja so fies sein). Für Jungs ist das nämlich nicht OK. Das ist einfach nur schade!
Berufliche Benachteiligung von Frauen: Ja natürlich können nur Frauen Kinder bekommen und daher gibt es immer das Risiko bei Frauen im gebärfähigen Alter, dass sie für den Arbeitgeber ausfallen. Aber in Deutschland wird dieses Problem vor allem deshalb so groß, weil wir ganz lange eine frühzeitige Rückkehr in den Beruf behindert haben... und immer noch tun. Langsam gibt es die Betreuungsplätze für Unter-Drei-Jährige. Aber noch immer werden viele Frauen komisch angesehen, wenn sie ihr Kind schon mit 1 Jahr in die Krippe "abschieben". Dass Männer mit so kleinen Kindern vollzeit arbeiten und sogar Überstunden machen, wird in Deutschland dagegen selten als Problem angesehen. Ich lebe seit über 10 Jahren in Belgien und hier läuft das anders. Da werden sowohl Frauen als auch Männer mit kleinen Kindern komisch angeschaut, manchmal sogar angesprochen, wenn Sie um 18h noch bei der Arbeit sind. Weil ein Großteil der Familien ihre Kinder schon mit wenigen Monaten (meist nach zw. 3 und 5 Monaten) in die Krippe geben, ist auch für den Arbeitgeber das "Risiko Frau wird schwanger" einfach nicht so groß. Als Arbeitgeber muss ich nicht davon ausgehen, dass meine Mitarbeiterin mehrere Jahre weg ist, nur weil sie Kinder bekommt. Und weil es so normal ist, fällt auch den Frauen der Wiedereinstieg leichter. Sie müssen sich nicht - wie in Deutschland oftmals üblich - mit einer minderwertigeren Arbeit zufrieden geben, weil sie ja so lange "draußen" waren. Und dann haben wir in DE auch noch diese blöden steuerlichen Regeln wie Ehegatten-Splitting, das vor allem dann Vorteilhaft ist, wenn eine Person (meist die Frau) wenig verdient (z.B. teilzeit arbeitet) und einer (meist der Mann) voll. Umgekehrt sehe ich bei meiner Schwägerin, dass die Regeln einen Einstieg auf Teilzeitbasis aber auch schwierig machen, weil jegliches Einkommen sofort wieder von anderen Ansprüchen aufgrund von Kindern abgezogen wird. Finanziell lohnt es sich für sie fast überhaupt nicht, überhaupt zu arbeiten, solange sie ein bisschen arbeiten kann/will.
Schulerfolg, Berufswahl und Rollenbild: Ich habe hier keinen Beleg, aber ich habe mal einen interessanten Artikel gelesen, der besagte, dass Kinder in der Schule in den typischen Fächern gut / schlecht sind, wenn sie zusammen unterrichtet werden. Jungs z.B. hätten von Natur oder von der Erziehung her, viel weniger Angst etwas kaputt zu machen, wenn es im Physik-Untericht darum geht, einen Versuch aufzubauen, am Computer etwas zu machen o.ä. Wenn sie nun mit Mädchen zusammen unterrichtet werden führt das in der Tendenz dazu, dass die Jungs das mal machen und die Mädchen zuschauen. Und das führt dann tendenziell dazu, dass Jungs auch mehr machen, mehr lernen und sich wieder mehr zutrauen - und umgekehrt. Im Sprachunterricht ist es genau anders herum: Da "wissen" Jungs ja, dass Mädchen eigentlich die besseren sind... und verhalten sich dann auch so. So wird aus einem Stereotyp ganz schnell eine selbsterfüllende Prophezeiung. In einem bestimmten Jahrgang in den 1990ern habe es in Bayern genau 2 Mädchen gegeben, die nach dem Gymnasium Bauingenieurwesen studiert hätten. Beide seien von reinen Mädchenschulen gekommen. Ich habe dazu keine Studien gelesen und ich weiß nicht, ob das immer und überall so zutrifft, aber ich halte diese Berichte für glaubhaft und daher denke ich, dass man gar nicht böswillig sein muss, um Stereotypen voranzutreiben. Es passiert einfach, wenn man nicht aktiv dagegen steuert.
Und das ist ja der Hintergrund der ganzen Diskussion: Ich möchte, dass wir aktiv gegen die Stereotypen gegensteuern. Wir sind nicht alle gleich, aber wir haben in der aktuellen Gesellschaft auch nicht die gleichen Chancen. Ich möchte, dass mein Sohn rosa tragen darf, ohne Sorge haben zu müssen dass er deswegen gehänselt wird, ich möchte dass Frauen in MINT-Berufe reinkommen können, ohne komisch angesehen zu werden, ich möchte, dass Männer nicht das Gefühl haben müssen, unbedingt der Hauptverdiener in einer Familie zu sein usw. usw.
Dass einige Menschen (vor allem einige Feministinnen) dabei über das Ziel hinausschießen sehe ich auch. Nur bin ich nicht bereit, wegen dieser Minderheit meine Überzeugung über Bord zu werfen, dass ich eine Änderung unserer Gesellschaft für mehr gleiche Chancen haben möchte.
Ich finde, Emma Watson hat vieles davon sehr schön in Ihrer HeForShe-Rede bei den Vereinten Nationen gesagt: