Ich habe Mathe gehasst. Aber nicht nur an Uni, die Mathematik hat mich bereits viel früher verloren. Aber um das zu erklären, muss ich ein wenig ausholen. Das ganze begann bereits in der ersten Klasse mit der dämlichen Aussage "Jedes Kind ist mathematisch begabt!". Ich weiß nicht, ob es wirklich so ist, aber wenn sind diese Begabungen unterschiedlich. Plus und Minus ging noch, bei Mal und Durch begann die Sache schon deutliche Defizite zu zeigen. Wir mussten endlose Listen mit stupiden Aufgaben rechnen, erst vollständig im Kopf, später dann kompliziertere Varianten schriftlich. Mir fiel es extrem schwer und da nie jemand nötig hatte auch nur ein Wort darüber zu verlieren, wozu der ganze Mist überhaupt notwenig ist, hatte ich absolut keinen Bock daran irgendwas zu ändern. Also war Klein-Yamagi schlau und hatte einen Taschenrechner im Schreibtisch. Damit war dann das Kind in den Brunnen gefallen.
Und so ging es später weiter. Es wurde anspruchsvoller, aber nie hielt es jemand für notwendig mal zu erläutern, wieso man Dinge benötigt und warum es sinnvoll ist sie zu können. Vor allem aber wurden keine Zusammenhänge hergestellt, es waren immer nur Inseln. Ich erinnere mich noch sehr gut, wie ich eine Klassenarbeit über Bruchrechnung gerasselt war. Hinterher erklärte meine Mutter mit mal so Nebensächlichkeiten wie, dass die klassische Division eigentlich nur ein Sonderfall der Bruchrechnung ist (Mathematiker werden nun vielleicht schreien) und wieso man mit dem Kehrwert malnehmen muss. Etc. Und plötzlich ging es, ich verstand es. Als ich 12 oder 13 war, bekam ich für einige Monate einen Aushilfslehrer. Er war jung und unerfahren und viele Eltern hassten ihn, da er recht unorthodoxe Methoden hatte. Er sagte, dass es erstmal völlig egal sei, ob wir den Kram rechnen können, wichtig ist in erster Linie es verstanden zu haben. Und bei ihm hatte ich dann auch meine beste Mathenote und das bei ihm behandelte Thema (Diverse Grundlagen der Trigonometrie, Strahlensätze, etc.) ist bis heute das einzige Gebiet, was ich jemals halbwegs zusammenhängend kapiert habe.
Dann kam das Abi. Ich schrieb in der Grundkursklausur 5 von 15 Punkten (eine glatte 4) und war glücklich. Meine Eltern waren glücklich, weil es die zweitbeste Klausur war und meine Lehrerin war glücklich, dass wenigstens zwei ihrer 9 Schüler keine 5 hatten. Damit war das Thema erst einmal durch.
Dann kam ich auf die dumme Idee zu studieren. Und die Mathematik in Informatik war die Hölle. Nicht nur für mich, stattdessen für etwa 90% des Kurses. Etwa 75% der Abbrecher wurden dort ausgefiltert, Durchfallquoten von >75% waren nicht ungewöhnlich. In allen 3 Kursen war der Ablauf immer der Selbe:
1. Klatsche eine Definition ins Skript. Natürlich nicht verständlich und keinerlei Erklärungen! Stattdessen tolle griechische Buchstaben und alle Sonderzeichen, die die Tastatur hergibt.
2. Gebe ein Beispiel in Form eines Sonderfalls, den man nicht ohne Weiteres auf den allgemeinen Fall übertragen kann.
3. Nutzer das Tutorium um den Studenten zu zeigen, wie dumm sie sind. Gebe ihnen keine Chance Aufgaben selbst zu rechnen, schreibe kommentarlos die Lösungen an. Dabei lasse einen Großteil mit Kommentaren wie "Das Folgende ist trivial, der begabte Student erkennt es sofort!" weg. Kanzele Nachfragen mit Sprüchen wie "Die Formel stimmt, nehmen Sie sie als gegeben hin!" ab.
Da die Studenten aufgrund ihrer schlechten Schulbildung gar keine Chance haben den so "aufbereiteten" Stoff zu kapieren und gar nicht die Zeit für lange und nicht selten teure Nachhilfesitzungen haben, greifen sie auf rezeptartige Lösungen aus dem Internet zurück. Wir haben Mathe gepaukt bis zum Umfallen. Mathe machte vielleicht 10% des Studiums aus, aber es sind ca. 50% des Aufwands dort hinein geflossen. Dann kommt die Klausur. Sie ist schon so konzipiert, dass auch sehr gute Studenten maximal 75% der Aufgaben lösen können, da die Zeit für mehr nicht reicht. Diese Aufgaben beinhalten wieder Sonderfälle und andere Gemeinheiten und sind nicht selten hart an dem, was man unter Zeitdruck und Nervosität überhaupt auf die Reihe bekomme. Beispiele, an die ich mich spontan erinnere:
- "5x5 Matrix. Invertiere!"
- "Tolle Gleichung. Stetigkeitsbeweis!"
Und auch genau so formuliert. Natürlich nicht in LaTeX gesetzt, stattdessen in Word getippt. Ohne Formeleditor. 99% von dem Mist braucht man dann eh nie wieder. Denn wer in die Bereiche der Informatik geht, die eine saubere mathematische Vorbildung verlangen, studiert entweder gleich Mathe oder wählt zumindest Mathe im Nebenfach. Alle anderen kommen mit den vier Grundrechenarten gut durch das Leben.
Wenn man Menschen für Mathe begeistern will, muss man den Unterricht bereits ab der ersten Klasse ändern. Es ist (aus eigener Erfahrung!) übrigens nicht so, dass aus asiatischen Schulen auch nur 1% besseres Matheverständis als hier geschaffen wird. Man lernt nur viel früher Rezepte ohne nachzudenken anzuwenden. Später auf der Uni wäre es sinnvoll für Informatiker die Mathematik um 80% auszukürzen. Viel weniger Stoff durchziehen, den verbleibenden dafür verständlich aufbereitet und zur Not in Tutorien 10x durchgekaut. Wer denn wirklich mehr Mathe will, kann Vertiefungskurse wählen. Trotz des reduzierten Umfangs würden sicherlich die meisten Studenten wesentlich mehr mitnehmen als heute. Und sie wären nicht für ihr Leben geschädigt, würden vielleicht sogar mehr Mathe machen als unbedingt notwendig. Vor allem aber könnte man die gigantische Abbrecherquote sicher deutlich senken.